Sonntag, 23. Oktober 2005
Call -Girls (Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung 10/2004)

Wissen Sie, wenn ich auf meine Jugendzeit zurück blicke, und das tue ich liebend gern ab und an, dann denke ich meist, sie ist mir erst kurzeitig verloren gegangen. Während der Ausbildungszeit war es an meinem Nonnenkloster üblich, außer sich mit Wissen bereitwillig und ergeben voll stopfen zu lassen, auch den laufenden Betrieb dieses Etablissements tatkräftig zu unterstützen. Jede Woche war daher eine andere Gruppe vor sich her pubertierender junger Damen damit beschäftigt, das triste Gebäude zu reinigen. Es wurde uns weiterhin aufgegeben, in der Klosterküche nach bestem, wenn auch mangelhaftem Wissen zu handeln und dort für Kalorienerzeugung gesund zu sorgen. Als „Call Girl“ in der Telefonzentrale zu vermitteln war während dem gesamten Unterfangen noch die herrlichste aller Aufgaben. Am großen Eingangsportal den Besuchern beim eintreten behilflich zu sein, eine sehr angenehme Beschäftigung. Eine wirklich willkommene Abwechslung, eigentlich. Im Vergleich zu dem sonst doch eher langweiligen Klosteralltag.

Als ich nun dazumal mit meiner Schwester im Geiste diesen Aufgaben sehr gut gewachsen schien, beauftragte man auch uns. So saßen wir im Glashaus, welches auch mundartlich abwertend Pförtnerloge genannt werden durfte. Richtige „Call Girls“, für einen Tag gewissermaßen. Es galt Anrufe nicht nur entgegenzunehmen, sondern vielmehr auch weiterzuleiten. Wir hatten die gewaltige Aufgabe, die anreisenden VIPs artig zu eskortieren. Wie Sie bereits merken, wir waren vielfältig gefordert. Nicht nur als „Call Girls“, sondern mehr noch als „VIP Eskortservice“ für gewisse Minuten. In der freien Zeit zwischen den dienstlichen Aufgaben erzählten wir uns allerhand dummes Zeug. Das weiß ich heute. Bei einem dieser Girly Einsätze ereignete sich nun folgendes:

Meine Schwester im Geiste war gerade dabei, mir zu erläutern, wie ihr letzter Tanzabend verschritten war. Tränen des Lachens vergossen wir reichlich. Störend schrillte das Telefon dazwischen und unterbrach unsere Lachlust. Sie nahm den Hörer ab, meldete sich vorschriftsmäßig und so gar nicht sittenwidrig, dann stutzte sie knapp und legte den Hörer wieder auf. Kurze Zeit darauf quengelte das Sprachrohr abermals. Sie reagierte artig. Gleichermaßen gespannt ob ihrer, mir mehr als seltsam erscheinenden Reaktion, äußerte ich zaghaft aber entschlossen eine Frage. Nämlich, was sie denn entsetzte. Aus ungläubigen Augen sah mich die Schwester an und sprach, was für ein Spinner ER denn wäre am anderen Ende der Leitung. Der, nachdem sie ihr gelerntes Sprüchlein aufgesagte, sie immer als „Doofe“ betitelte.
Gänse wie wir damals waren, begannen wir zu schnattern, junge Gössel, wahrhaftig. Das unbarmherzige Kommunikationsmittel meldete sich nun abermals. Gleiches Szenario, nur diesmal war die junge Schwester cleverer. Dachte sie. Nachdem der offensichtliche Strolch „Doofe“ durch die Leitung gezischt hatte, konterte sie spitzzüngig: „selber doof“. Dann legte sie sofort auf. Wir störten uns nicht weiter an diesem Ereignis und begaben uns fast nahtlos zu unserem Gesprächsthema.
Etwa drei Stunden im Anschluss begehrte ein älterer, graumelierter Herr im dunklen Anzug Zugang durch das Portal. Eine imponierende Erscheinung, so wie er da stand, vor dem „Call -Center“. Aha, ein weiterer VIP. Es war an mir, ihn aufrichtig höflich nach seinen Wünschen und Phantasien zu befragen. Also entsprang ich leichtfüßig gekonnt dem Glashaus. Entbot ihm ein freundliches „Guten Tag, sie wünschen bitte?“. Er musterte mich streng, ihm schien zu gefallen, was er sah. Dann stand er mir Rede und Antwort: „Mein Name ist Professor Doofe, ich hatte einen Termin bei ihrem Rektor. Eigentlich bereits vor zwei Stunden. Auch war es meine Absicht zu stornieren, telefonisch. Besser noch eine Zeitverschiebung ausrichten zu lassen. Leider wurde das Telefonat mehrmals auf grobe Art unterbrochen.“ Ich spürte meine Gesichtszüge entgleiten, rang um Beherrschung. Lieb und ernsthaft, wie man es mich gelehrt hatte, geleitete ich ihn bis an die Tür des Rektorats. Anschließend kehrte ich, noch immer Purpur im Gesicht, in das gläserne „Call - Center“ zurück.

Peinlich.

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Die Zahnfee (Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung 08/2004)

Es waren einmal Bruder und Schwester. Sie lebten in einem Land zwischen hier und dort, in einer Zeit, keiner weiß sich mehr genau daran zu erinnern. Die beiden waren wirklich liebe Kinder und jeder dem sie begegneten, schloss sie sofort in sein Herz. Manchmal jedoch, aber wirklich nur manchmal, gerieten sie sich in die Haare, so dass die Fetzen flogen. Ihre Kinderzimmer wurden dann in Windeseile zu einer Raubtierarena. Man konnte sie toben und schreien, schimpfen und kreischen hören, dass einem angst und bange wurde. Ihre Mutter verzweifelte fast in solchen Augenblicken und machte sich große Sorgen um die Kinder.
Der Bruder, er war der Ältere von den Beiden, hatte schon seit einiger Zeit einen Wackelzahn. Sehnsüchtig wartete er auf den Moment wo dieser ihm endlich ausfallen würde. Ob die Zahn Fee den Zahn dann in der darauf folgenden Nacht wohl abholte? Gar viele Geschichten hatte er schon gehört, von der Zahn Fee. Eigentlich mochte er sie nicht ganz glauben. Jedoch insgeheim hoffte der kleine Junge schon, dass ein klitzekleines bisschen von den Geschichten, die man sich erzählte, wahr wäre.
Seine jüngere Schwester beneidete ihn um diesen Wackelzahn und nur gar zu gern hätte sie auch Einen gehabt. Im Gegensatz zu ihrem Bruder glaubte sie nämlich ganz fest an die Zahn Fee. Auch daran, dass diese gewiss kommen würde, um den ausgefallenen Zahn unter dem Kopfkissen hervor zu holen und an seine stelle einen blanken Taler zu legen.
Beide Kinder waren sich jedoch in einem Punkt einig. Die Zahn Fee nahm nur die blanken, sauber geputzten Milchzähne mit. An jedem morgen glich das Badezimmer nach dem Zähne putzen einem Schlachtfeld. Die Kinder schrubbelten und rubbelten ihre Zähne blitzblank. Keines wollte dem anderen dabei nachstehen. Selbst mit den Zahnbürsten im Mund und der schaumigen Zahncreme erzählten sie sich immer neue Geschichten von der Fee. Immer außergewöhnlicher und phantasievoller. Der Mutter konnte es nur Recht sein. So war sie sich denn sicher, dass die beiden Kleinen ihre Zähne wirklich aufs gründlichste putzten.
Eines Abends geschah es dann. Als die Familie beim Abendessen saß, schwups fiel der Wackelzahn des Jungen heraus. Nun gab es kein Halten mehr. Er jubelte und tanzte, rannte in das Badezimmer und schrubbelte den kleinen Zahn noch einmal blitzblank. Danach nahm er sein Zahndöslein und legte den winzigen Zahn vorsichtig hinein. Er hüpfte in sein Zimmer und versteckte die kleine Dose unter seinem Kopfkissen. Seine Schwester schaute ihm ein wenig wehmütig dabei zu.
An diesem Abend schliefen die beiden Kinder erstaunlich schnell ein. Es gab kein Zanken, kein Toben, es brauchte keine Ermahnungen von den Eltern. Die beiden waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich auszumalen, was wohl in dieser Nacht passieren würde.
Am Morgen darauf, als der kleine Junge erwachte schaute er flink unter seinem Kopfkissen nach. Siehe da, sein kleiner Zahn war aus dem Zahndöslein verschwunden und stattdessen lagen viele blanke Taler darin. Eilig schlüpfte er aus dem Bett, schlich sich in das Zimmer seiner kleinen Schwester, kitzelte sie sanft wach und zeigte ihr seinen Schatz. Die Kleine blinzelte ihn verschlafen an. Noch ehe sie recht wach war, bemerkte sie, dass ihr Bruder über und über mit Glitzer und Glimmer bedeckt war. Diesem war es noch gar nicht aufgefallen, er hatte nur Augen für seine Taler und er malte sich aus, welche seiner Wünsche damit erfüllt werden könnten. Sie zog ihn vor den großen Spiegel und flüsterte: "Sicher hat dich die Zahn Fee heute Nacht geküsst, als sie deinen Zahn abgeholt hat", der kleine Junge schüttelte ungläubig den Kopf. Doch je länger er sich im Spiegel betrachtete und je genauer er sah, wie er glitzerte und glimmerte umso unheimlicher wurde ihm. Dann fiel ihm ein, dass er einen seltsamen Traum hatte in der vergangenen Nacht.
Irgendwer hatte ihm liebevoll über das Haar gestrichen und ihn sanft im Arm gehalten. Dann etwas leise zugeflüstert und ihn am Ende ganz zart geküsst. Nun wusste er, dass konnte nur die Zahn Fee gewesen sein, die ihn besucht hatte.
Als die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern am Frühstückstisch saßen erzählte der kleine Junge von seinen Erlebnissen der letzten Nacht und zum Beweis zeigte er das Zahndöslein vor. In dem die Taler nur so lustig klimperten. Dann geschah etwas Seltsames. Der kleiner Junge beugte sich zu seiner Schwester, umarmte sie herzlich, küsste sie keck auf die Nasenspitze und verkündete: "Sei nicht traurig, dass du noch keinen Wackelzahn hast. Ich teile meine Taler alle mit dir. Dann können wir uns beide einen Wunsch erfüllen und du musst nicht erst noch so lange auf die Zahn Fee warten."
Die Eltern der Geschwister sahen sich beide in diesem Moment lächelnd an, nahmen ihre Kinder in die Arme und drückten sie ganz fest an ihre Herzen. In diesem Augenblick war es ganz deutlich zu spüren, Familie und Liebe sind etwas sehr kostbares man darf es niemals leichtfertig aufs Spiel setzen, um keinen Preis der Welt.

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"Schicksal" (Versalia - das Literaturportal )

1968
Da steht sie, ein kleiner Dreikäsehoch. nicht einmal 4 Jahre alt. Den kleinen Körper fröstelnd in ihr Mäntelchen geschmiegt. Der Herbstwind treibt das welke Laub stürmisch vor sich her. Obwohl der Tag noch jung ist, dämmert er schon. Unbekannte eilen an ihr vorbei, nehmen sie nur flüchtig wahr, blicken sie mitleidig und stumm an. Sie weiß nicht warum. Lautlos rinnen ihre Tränen aus den großen braunen Augen. Unfassbar. Der Ort ist unheimlich. Ihr Kindermund öffnet sich zaghaft. Ihre Lippen formen den Schrei. Sie bleibt stumm.

1986
Sie verabschieden sich wie zwei gute Freunde. Alles ist gesagt. Das kleine Mädchen neben ihr hüpft ungeduldig von einem Bein auf das andere. Sie nimmt es bei der Hand und wendet sich von ihm ab. Sie geht. Ein flüchtiger Blick noch zurück. Dort steht er am Fenster des Krankenhauses. Es rahmt ihn ein wie ein alter schwerer Bilderrahmen ein Erinnerungsfoto. So soll es sein. Er hebt seine Hand langsam, zum letzten Gruß. Sie ist allein mit ihren Gedanken und dem Kind.
2 Wochen später liest sie es in diesem Brief. Sie wird allein bleiben. Er ist gegangen, für immer. Unfassbar. Ihre Augen ertrinken in Tränen. Ihr Mund öffnet sich. Ihre Lippen formen den Schrei. Sie bleibt stumm.

1988
Sie erwacht von dem quälenden Schmerz in ihrem Unterleib. Angst schleicht sich heran, bemächtigt sich ihrer. Sie verdrängt. Das Untersuchungsergebnis am Mittag, niederschmetternd. Sie hofft. Abends in ihrem Badezimmer, sie hat verloren. Unfassbar. Verzweifelt öffnet sie ihren Mund. Ihre Lippen beben, sie kann ihn spüren diesen Schrei. Sie bleibt stumm.

2001
Wochenlange schlaflose Nächte. Ungewissheit, einsamer Kampf. Zweifel bohren sich tief in ihre Gedanken, täglich. Alleingelassen mit dieser Entscheidung. Grübelnde Hoffnungslosigkeit. Keiner bemerkt diese Qual. Er bleibt stumm und entfernt sich. Sprachlos, Ratlos. Bevor sie in diesen todesähnlichen Schlaf fällt hört sie es. Normal entwickelt, 11. Woche, 3. Tag. Dann ist es vorbei. Endgültig. Unfassbar. Sie möchte schreien, so laut wie noch nie in ihrem Leben. Zu spät. Sie bleibt stumm.

2003
Haare fallen,
doch nicht von der Schere Schnitt.
Haut verbrennt,
doch nicht von der Sonne Glut.
Allmorgendliche Übelkeit,
doch nicht von der Frucht des Leibes.
Medikamente verzehrend,
doch nicht um zu Gesunden.

Trotz allem - Sterben

moira, fatum, 'Schick|sal - Anthologie

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Last update: 18.09.13, 12:00

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