Call -Girls (Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung 10/2004)
sorceress2001
17:17h
Wissen Sie, wenn ich auf meine Jugendzeit zurück blicke, und das tue ich liebend gern ab und an, dann denke ich meist, sie ist mir erst kurzeitig verloren gegangen. Während der Ausbildungszeit war es an meinem Nonnenkloster üblich, außer sich mit Wissen bereitwillig und ergeben voll stopfen zu lassen, auch den laufenden Betrieb dieses Etablissements tatkräftig zu unterstützen. Jede Woche war daher eine andere Gruppe vor sich her pubertierender junger Damen damit beschäftigt, das triste Gebäude zu reinigen. Es wurde uns weiterhin aufgegeben, in der Klosterküche nach bestem, wenn auch mangelhaftem Wissen zu handeln und dort für Kalorienerzeugung gesund zu sorgen. Als „Call Girl“ in der Telefonzentrale zu vermitteln war während dem gesamten Unterfangen noch die herrlichste aller Aufgaben. Am großen Eingangsportal den Besuchern beim eintreten behilflich zu sein, eine sehr angenehme Beschäftigung. Eine wirklich willkommene Abwechslung, eigentlich. Im Vergleich zu dem sonst doch eher langweiligen Klosteralltag. Als ich nun dazumal mit meiner Schwester im Geiste diesen Aufgaben sehr gut gewachsen schien, beauftragte man auch uns. So saßen wir im Glashaus, welches auch mundartlich abwertend Pförtnerloge genannt werden durfte. Richtige „Call Girls“, für einen Tag gewissermaßen. Es galt Anrufe nicht nur entgegenzunehmen, sondern vielmehr auch weiterzuleiten. Wir hatten die gewaltige Aufgabe, die anreisenden VIPs artig zu eskortieren. Wie Sie bereits merken, wir waren vielfältig gefordert. Nicht nur als „Call Girls“, sondern mehr noch als „VIP Eskortservice“ für gewisse Minuten. In der freien Zeit zwischen den dienstlichen Aufgaben erzählten wir uns allerhand dummes Zeug. Das weiß ich heute. Bei einem dieser Girly Einsätze ereignete sich nun folgendes: Meine Schwester im Geiste war gerade dabei, mir zu erläutern, wie ihr letzter Tanzabend verschritten war. Tränen des Lachens vergossen wir reichlich. Störend schrillte das Telefon dazwischen und unterbrach unsere Lachlust. Sie nahm den Hörer ab, meldete sich vorschriftsmäßig und so gar nicht sittenwidrig, dann stutzte sie knapp und legte den Hörer wieder auf. Kurze Zeit darauf quengelte das Sprachrohr abermals. Sie reagierte artig. Gleichermaßen gespannt ob ihrer, mir mehr als seltsam erscheinenden Reaktion, äußerte ich zaghaft aber entschlossen eine Frage. Nämlich, was sie denn entsetzte. Aus ungläubigen Augen sah mich die Schwester an und sprach, was für ein Spinner ER denn wäre am anderen Ende der Leitung. Der, nachdem sie ihr gelerntes Sprüchlein aufgesagte, sie immer als „Doofe“ betitelte.
Gänse wie wir damals waren, begannen wir zu schnattern, junge Gössel, wahrhaftig. Das unbarmherzige Kommunikationsmittel meldete sich nun abermals. Gleiches Szenario, nur diesmal war die junge Schwester cleverer. Dachte sie. Nachdem der offensichtliche Strolch „Doofe“ durch die Leitung gezischt hatte, konterte sie spitzzüngig: „selber doof“. Dann legte sie sofort auf. Wir störten uns nicht weiter an diesem Ereignis und begaben uns fast nahtlos zu unserem Gesprächsthema.
Etwa drei Stunden im Anschluss begehrte ein älterer, graumelierter Herr im dunklen Anzug Zugang durch das Portal. Eine imponierende Erscheinung, so wie er da stand, vor dem „Call -Center“. Aha, ein weiterer VIP. Es war an mir, ihn aufrichtig höflich nach seinen Wünschen und Phantasien zu befragen. Also entsprang ich leichtfüßig gekonnt dem Glashaus. Entbot ihm ein freundliches „Guten Tag, sie wünschen bitte?“. Er musterte mich streng, ihm schien zu gefallen, was er sah. Dann stand er mir Rede und Antwort: „Mein Name ist Professor Doofe, ich hatte einen Termin bei ihrem Rektor. Eigentlich bereits vor zwei Stunden. Auch war es meine Absicht zu stornieren, telefonisch. Besser noch eine Zeitverschiebung ausrichten zu lassen. Leider wurde das Telefonat mehrmals auf grobe Art unterbrochen.“ Ich spürte meine Gesichtszüge entgleiten, rang um Beherrschung. Lieb und ernsthaft, wie man es mich gelehrt hatte, geleitete ich ihn bis an die Tür des Rektorats. Anschließend kehrte ich, noch immer Purpur im Gesicht, in das gläserne „Call - Center“ zurück. Peinlich.
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