Mitten in Montana (Zeitschrift Kurzgeschichten 11/2005)

Mein Job als Trucker dient nicht allein meinem Broterwerb, vielmehr ist er meine Berufung. Seit zwei Jahrzehnten führen mich meine Touren kreuz und quer durch das ganze Land. Dabei sind mir mit der Zeit viele Menschen begegnet, deren Schicksale und Geschichten so unterschiedlich waren, wie die Routen, auf denen ich fuhr. Meine Heimat ist die Landstraße, so und nicht anders wollte ich es immer haben.

Heute führt mich mein Weg durch Montana. Bevor ich den Pass überquere, werde ich bei Mary’s Diner anhalten, und mir einen ordentlichen Becher heißen Kaffee gönnen. Mary kocht den besten Kaffee weit und breit. Abgesehen davon, hat sie noch einige andere Vorzüge, auf die ich jetzt nicht näher eingehen möchte.
Jackson Hole liegt bereits einige Meilen hinter mir. Um die Nacht nicht zu lang werden zu lassen, stelle ich mein Radio auf „Jim’s Western Music“- Frequenz.
Jim und ich kennen uns schon, so lange wir beide denken können, noch aus der Zeit, als er selbst als Ritter der Landstraßen unterwegs war. Bis eines Tages ein schrecklicher Unfall seinem Trucker-Dasein ein jähes Ende bereitete.
Ich erinnere mich, als wäre es erst gestern passiert. Es war eine Nacht wie diese und es regnete in Strömen. Über Funk hatte ich gerade mit Jim vereinbart, bei Mary eine kurze Pause ein zu legen, etwas Ruhe und Entspannung konnten wir beide gebrauchen. Jim fuhr damals durch den Yellowstone, er hatte Bauholz geladen. Die Mormonen in einer Siedlung kurz vor Salt Lake City bestanden darauf, genau dieses Holz zum Bau ihres neuen Gebetshauses zu verwenden.
Jim war auf jeden Cent angewiesen. Er wusste, dass diese Tour gefährlich sein konnte, dennoch hatte er den Auftrag angenommen.
Während wir über Funk Kontakt hielten, schien das Wetter im Umkreis des Yellowstone vollkommen verrückt zu spielen. Das Letzte, was ich von Jim damals hörte, war sein Fluch über „Old faithful“. Die Fontänen des Geysirs waren scheinbar aus dem natürlichen Gleichgewicht geraten. Jim schrie: „Dieses Mistding spuckt Steine anstatt Wasser! Was ist da los?“ Für einen Moment war der Funk unterbrochen, dann hörte ich Jim abermals brüllen: “Verdammter Schneesturm, spielt hier alles verrückt?“ Der Funk brach kurzzeitig ab. Als die Verbindung wieder stand, hörte ich einen mächtigen Knall, Glas splitterte, Jim schrie und das Geräusch von herabstürzenden Felsbrocken nahm minutenlang kein Ende.
Ich informierte sofort die Ranger der nächstliegenden Station. Wie sich herausstellte, hatten diese den Vorfall über Funk miterlebt und waren bereits unterwegs. Allein diesem Umstand hatte Jim sein Leben zu verdanken. Schwer verletzt bargen ihn die Ranger fünfundzwanzig Minuten später aus dem brennenden Fahrzeug.
Der Truck war nur noch ein Haufen Schrott und das Bauholz der Mormonen verbrannte bei der Explosion des Tanks bis auf den letzten Stamm.
Nach seiner Genesung musste Jim die Truckfahrerei an den Nagel hängen. Er zahlt heute noch Raten an die Mormonen ab, indem er Radiosendungen für Trucker moderiert. Nächstenliebe ist den Ältesten der Mormonen anscheinend, trotz aller Gläubigkeit, in Jims Fall vollkommen fremd.

Noch ungefähr zehn Meilen liegen vor mir, dann erwartet mich Marys starker Kaffee. Wenn es weiter so regnet wie im Moment, werde ich heute Nacht bei ihr bleiben müssen. Sie wird erfreut sein, meinen Zeitplan bringt es ganz schön durcheinander.
Ja, ich gebe zu, Mary ist eine Traumfrau, sie hat nur einen Makel, seit Jahren drängt sie mich dazu, meinen Job aufzugeben und sie zu heiraten.
Für mich wäre dies gleichbedeutend mit dem Tod. Selbst eine Frau wie sie ist nicht in der Lage, mich dazu zu bringen.
Ein klopfendes Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe Jims Musiksendung etwas leiser, doch das Klopfen lässt nicht nach. Das hat mir gerade noch gefehlt, mitten in der Nacht, weit und breit keine Menschenseele. Der Regen hat immer noch nicht aufgehört.

Das Klopfen entwickelt sich zu einem bedrohlichen Geräusch und der Motor beginnt zu stottern. Verflucht! Ich hätte den Motor des Trucks letzte Woche noch einmal durchsehen lassen sollen, in Bobs Werkstatt. Dabei hatte ich Bobs Worten kaum eine Bedeutung zugemessen, denn sein Geschäftssinn ist mir seit vielen Jahren nicht unbekannt. Ich gab also nicht viel auf Bobs Worte und schlug seine Warnungen mit einer abwinkenden Handbewegung aus.
„Mist!“ Nun steht die verfluchte Karre tatsächlich still. Normalerweise kostet es mich nicht viel Überwindung, selbst nach dem Rechten zu sehen, mit den Jahren lernt man so einiges. „Wenn nur dieses Sauwetter nicht wäre!“
Ich muss die Warnlichter aufstellen, glücklicherweise habe ich mein Handy dabei und kann den Abschleppdienst rufen. Da fällt mir ein, hier ist die mieseste Stelle, um zu telefonieren. Die Signale werden durch die Berge beeinträchtigt, auch mein Funkgerät wird mir nicht viel nützen. „Wo zur Hölle bin ich hier eigentlich?“
Also schön, trotz des Regens muss ich mich durch den Wald kämpfen bis zu Mary’s Diner, um von dort aus den Abschleppdienst anzurufen. Der Empfang ist hier tatsächlich total gestört.
Missmutig steige ich aus, werfe mein Regenzeug über, greife meine Taschenlampe und mache mich auf den Weg. Das Beste wird sein, ich gehe quer durch den Wald, so kann ich sicher sein, Mary’s Diner schneller zu erreichen. „Hölle, ist das stürmisch!“
Seit knapp einer Stunde irre ich umher, das Licht meiner Taschenlampe verschafft mir nur begrenzte Sicht. Ich habe mich verlaufen. Wen wundert’s, meine Berufung ist das Truckfahren und die Landstraße, nicht der Querfeldeinlauf. Dort vorn scheint sich der Wald zu lichten, endlich. Dann noch zwei Meilen die Straße entlang und Mary’s Laden müsste schon zu sehen sein. „Verdammt, ist mir kalt!“
Ich beginne zu rennen und merke, dass es mir an einer gehörigen Portion Kondition mangelt. Mary hatte Recht, als sie vor einigen Wochen eine spitze Bemerkung über meinen üppigen Bauch machte.
„Endlich, Licht.“ Vollkommen außer Atem kämpfe ich mich die letzten Meter durch das Unterholz. „Was ist das?“ Ich hatte angenommen nun die Landstraße erreicht zu haben, doch: weit gefehlt. Während ich mir das nasse Laub aus den Haaren streife, sehe ich einen Lichtstrahl, erst schwach, dann wird er immer heller und breiter. Inmitten des Lichtkegels ein pyramidenförmiges Etwas. Davor drei dürre Gestalten, die mich aus großen Augen erschrocken ansehen. Wie erstarrt bleibe ich stehen.
„Aliens mitten in Montana, das glaubt mir kein Mensch!“ Wie es aussieht, haben auch sie eine Panne mit ihrer fliegenden Untertasse.

Hatte Jim damals nicht auch irgendetwas von Aliens gefaselt? Ich hielt es für wirres Gerede auf Grund seines Unfallschocks. Jetzt weiß ich es besser.

      

 

Last update: 18.09.13, 12:00

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