... Geschirrspülgedanken ... (Sie wissen, was ich meine)
Die Großmutter, geboren im September 1913.
Großmutters rheumatische Finger waren ständig in Bewegung, ihre Hände ruhten nie. Vom ersten Weltkrieg bemerkte sie nicht viel, konnte sich kaum erinnern.
Irgendwie schienen ihre Tage - trotz allem - damals sonnig, bunt und voller Abenteuer. Sie lebte damals mit ihren Eltern unweit ''vom Schacht'' (Bergbau-Hartbraunkohle). Ihr Vater, mein Urgroßvater, war dort Werkmeister. Seine Frau, meine Urgroßmutter, war Hausfrau und kümmerte sich um die Kinder.
Wenn die Großmutter von ihrer Kindheit erzählte, saß ich ganz still zu ihren Füßen, meine Lieblingspuppe im Arm - ich hörte ihr aufmerksam zu.
Dann kam der zweite Weltkrieg, die Großmutter war inzwischen eine junge Frau. Sie hatte einen Beruf erlernt, hatte geheiratet, meine Mutter wurde geboren - 1935 -. Alle lebten immer noch in der Nähe des Schachtes. Der Urgroßvater war immer noch Werkmeister dort und die Urgroßmutter kümmerte sich nach wie vor um den Haushalt.
Eine große Familie, meine Großtante war inzwischen geboren, dass war im März 1924. Zwischen den Geburtsdaten der beiden Schwestern klaffte eine zeitliche Lücke. Da gab es noch eine Schwester, doch sie überlebte nicht lange. Sie starb kurz nach der Geburt an einer Kinderkrankheit. Man erinnerte sich ab und an an sie, doch die beiden Schwestern sprachen nicht gern darüber. Daher blieb in meiner Erinnerung nur das Bild von einem entzückenden Baby mit rosigen Wangen, welches irgendwann fiebernd zum letzten Mal einschlief.
In den Jahren des Krieges rückte die Familie noch enger zusammen. Im Schacht arbeiteten nun ''Russen''. Ausgemergelte Männer, unterernährt, fernab von eigenen Familien, behandelt wie Tiere. Einer von ihnen, ein Offizier, der war ein guter Arbeiter. Er sprach deutsch und machte so überhaupt keinen gefährlichen Eindruck, obwohl überall zu hören und zu lesen war, wie gefährlich ''diese Russen'' doch so sind. Sie töten, sie vergewaltigen, sie rauben und wenn es ganz schlimm kommt, fressen sie auch kleine Kinder.
Der Urgroßvater hatte seine Arbeiter alle im Blick, auch ''die Russen''. manchmal brachte er einen von ihnen mit ins Haus. Ließ ihn am Tisch platz nehmen, man aß gemeinsam und sprach miteinander. ''Das Monster'' schaukelte meine Mutter auf den Knien, spielte mit ihr und schnitzte aus Holz kleine Spielzeuge. Fast gehörte er schon zur Familie. Gefährlich waren solche Abende für alle. Nicht weil ''der Russe'' ein Monster war - sondern weil man ihn an den Tisch bat, ihm zu essen gab, ihn wie einen Menschen behandelte.
Ob diese Gefahr meiner Familie damals bewusst war? Darüber gab die Großmutter keine Auskunft.
Als man nach Kriegsende damit begann, die Familie - umzusiedeln - sie durften mitnehmen, was sie tragen konnten und das war nicht viel, denn oftmals blieb kaum Zeit das Nötigste zusammen zu packen, passierte etwas womit niemand gerechnet hatte.
Ein letztes Mal stand ''der Russe'' in der Tür. Er verabschiedete sich mit Tränen in den Augen und versprach zu helfen, so gut es nur geht. Immerhin, so sagte er, verdanke er ihnen sein Leben.
Er hielt sein Versprechen, verschaffte meinen Urgroßeltern, meiner Großmutter, meiner Mutter und meiner Großtante ein wenig Zeit. Zeit um Habseligkeiten zu ordnen, die nötigsten Vorkehrungen zu treffen bevor sie ihre Heimat verlassen mussten. Er sorgte dafür, dass alle zusammen blieben - als Familie. Das war ihm wichtig und das Mindeste, was er für sie tun konnte.
Ein kleines Holzspielzeug behielt meine Mutter über viele Jahre. Den Namen ''des Russen'' erfuhr ich nie. Aber ich glaube, ich habe ihm viel zu verdanken.
- Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit -