... Geschirrspülgedanken ... (Sie wissen, was ich meine)
Der Großonkel, geboren 1915, ein ruhiger, besonnener Mann mit stattlicher Körperhöhe. Mein Lieblingsgroßonkel, vielleicht auch allein deshalb, weil ich nur einen Großonkel hatte.
Der Großonkel und die Großtante liebten mich, wie ihr eigenes Kind. Sicherlich blieb ihnen auch nichts anderes übrig, denn sie hatten keine eigenen Kinder. Vor dem Krieg waren beide zu jung und nach dem Krieg, war alles anders.
Einmal habe ich sie danach gefragt, warum sie keine Kinder hätten. Beide sahen sich über meinen Kopf hinweg in die Augen, kurz flackerte Trauer auf. Dann holte die Großtante tief Luft, umarmte mich ganz fest und der Großonkel murmelte: ''Es hat sich nicht ergeben.''
Als Kind war ich irgendwie sehr froh darüber, dass ''es sich nicht ergeben'' hat. Heute ahne ich, wie traurig beide darüber gewesen sein mussten, ich verstehe, warum sie sich mir aufmerksam und liebevoll zu wandten und ich bin dankbar dafür.
Der Großonkel hatte es mit Sicherheit nicht leicht, er war der einzige Mann in der Familie umgeben von vier Frauen. Da war meine Großtante - seine Frau -, meine Großmutter, meine Mutter und ich. Zu lachen hatte er da wohl selten etwas. Vielleicht blieb er daher oftmals stumm. Fotos habe ich gesehen, da konnte er noch lachen. Das waren Fotos aus der Zeit vor dem Krieg.
Der Großonkel war immer darum bemüht, mir den Vater zu ersetzen. Die beiden müssen sich gut verstanden haben, als mein Vater noch lebte. Auch wenn sie sich nur kurz kannten, sie gaben ein gutes Team ab, die zwei. Ich glaube fast, er hat meinem Vater versprechen müssen, auf mich aufzupassen.
Vom Großonkel habe ich viel gelernt, er brachte mir viele Dinge bei nur einmal, da versagte er seine Hilfe. Das war an dem Tag als ich meinen ersten Fremdsprachenunterricht in - französisch - hatte. Ich kam heim, ganz begeistert von der ersten Stunde und ich plapperte munter drauf los, vollkommen fasziniert vom Klang dieser Sprache. Er war ganz still, nachdenklich und zog sich zurück.
Der Großonkel mochte Frankreich nicht, er war in Marseille, mit einem zerschossenen Fuß. Als der Fuß verheilt war, blieb er in Marseille, wie viele, die er kannte. Tage, Wochen und Monate gingen sie aus einem großen Tor hinaus, wurden bewacht und gingen in das Tor zu einer großen Dattelfabrik hinein um dort zu arbeiten. Über die Arbeit erzählte er nicht viel, obwohl er dort viele Jahre gearbeitet hat - arbeiten musste. Dort wo er in diesen Jahren lebte, gab es wenig zu essen. Die Ratten tanzten nachts auf den Mauern herum, stahlen das wenige Essen. Nur die Graupensuppe, die rührten die Ratten nicht an, die schmeckte ihnen sicher nicht - dem Großonkel auch nicht, denn als er wieder daheim war, aß er nie wieder Graupensuppe, bis zum Lebensende.
Doch einmal erzählte er mir, er wäre ein guter Arbeiter gewesen und der Inhaber der Fabrik habe an einem Weihnachtsfest einige Arbeiter eingeladen zum Essen. Das muss kurz vor dem Moment gewesen sein, bevor es für immer nach hause ging. Der Großonkel und die anderen Männer aßen so viel sie nur konnten, sie waren hungrig. Später übergaben sie sich, ihre Mägen waren solche Mengen nicht mehr gewohnt.
Dann kam der Großonkel endlich heim, abgemagert und krank. Die Großtante war Jahre ohne ihn, hat auf ihn gewartet und ihn wieder gesund gepflegt. Auch sie mochte Frankreich nie. Es gibt kaum Belege aus dieser Zeit, einige Postkarten, ein Tuch aus Seide und eine kleine, lederne Geldbörse. Darin ein Schein, der die Entlassung bestätigt und das Datum der Heimkehr ausweist.
Später habe ich ihn gefragt: ''Warst Du ein Faschist?'' seine Antwort für mich: ''Ich habe niemanden getötet! Ich war Soldat, hätte ich mich geweigert, hätte man mich sofort erschossen.''
Er kam nach hause, mit einem durchschossenen Fuß, abgemagert und krank. Was immer er erlebt hat, hat ihn später in vielen Nächten nicht schlafen lassen. Er war ein ruhiger, stiller Mann. Oft in sich gekehrt, nachdenklich und dabei voller Liebe für mich.
... Er war - mein Großonkel - ...
Und - ich liebe Frankreich, habe das Land 1990 besucht, finde die Sprache faszinierend und die Menschen, welche ich kennen lernte, waren freundlich und gut zu mir.
Es ist unerheblich, von wem man geliebt wird, so lange man geliebt wird.