Hallo (Zeitschrift Kurzgeschichten 04/2005)

Und wieder so ein Tag an dem sich Fassungslosigkeit breit macht. Erschreckendes Entsetzen und letztendlich heulendes Elend reichen sich die Hände, schütteln sich warm.
Ich stehe in diesem fein getünchten Hausflur, den Türknauf noch in der Hand. Warte auf meinen Fahrgast. "Hallo, Hallo" höre ich es schallen, durchdringend, gleichzeitig zerbrechlich wie Glas. Es hat keinerlei Bedeutung, für mich. Ich warte ja nur. "Hallo, Hallo" da ist es schon wieder, fordernder. Ich wische es weg, denn es stört mich. Meine Hand friert langsam am Türknauf fest. "Hallo, Hallo, jetzt habe ich dich erkannt", klingt es. Fast erleichtert denke ich "schön, endlich." Ich kann nicht gemeint sein. Mein Fahrgast sucht nach dem Wohnungsschlüssel. Bereit für die Reise. Da ist es wieder dieses "Hallo", bettelnd, es macht mich mürbe, tut weh in meinen Ohren. Mein Fahrgast meint, dass gehe nun schon seit 30 Minuten so, an Hilfe dachte sie bisher nicht. Sie kann die Treppen nicht steigen, sie ist selbst gebrechlich und alt. Keiner im Haus steigt die Treppen nach oben, niemand ist da der es könnte.
Ich könnte, ich bin gesund. Mein Fahrgast nimmt im Wagen Platz. Ich suche das "Hallo". Es steht in der Tür, verloren, alt und hilflos. Es ruft, ruft nach mir!? Es sieht mich und ein kurzes, aufflackerndes vermeintliches Erkennen erleuchtet den Hausflur.
Ich kenne es nicht, dieses "Hallo". Ich kenne nur den Hausflur, seit Jahren.
Es muss zur Toilette sagt es und das mir, einer vollkommen Fremden. Ich steige die Treppen nach oben und nun sehe ich es zum ersten Mal. Eine alte Dame, ist die Ruferin. Ihr ehemals weißes T-Shirt hatte sicher auch schon bessere Tage gesehen, genau wie sie selbst. Mit der offenen Vertrautheit eines 3 jährigen Kindes bittet sie mich zu sich herein. Sich stützend auf eine vierrädrige Gehhilfe. Froh ist sie, der Einsamkeit entkommen, diesmal.
Der Gang zur Toilette, vergessen. Unkenntnis darüber wer oder was ich bin. Nicht einmal wissend, wer oder was sie ist.
Ich helfe ihr in ihren Sessel, ein Glas Orangensaft auf dem Tisch, daneben eine Lesebrille, keine Zeitung. Im Zimmer breitet sich eine drückende Schwüle aus, es riecht unangenehm, ich kann kaum atmen. Ekel kriecht mich an oder ist es mein eigenes Entsetzen?
Gehorsam bleibt sie in ihrem Stuhl. Bevor ich die Wohnungstür hinter mir zu ziehe, bittet sich mich Paul zu suchen. Sie vermisst ihn, sie braucht ihn, sie wartet auf ihn. Ihren Paul.

Wieder im Auto sitzend empfinde ich den Schmerz dieses Jammerbildes, bohrend, stechend. Ich kann es kaum glauben. Wer ist Paul?

"Das war Frau P." sagt mein Fahrgast. "Sie hat Alzheimer, seit Jahren."

      

 

Last update: 18.09.13, 12:00

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