Heimat

"Ich bin deine Heimat" flüsterte er.
"Geh weg", schrie ich ihn an, "du lügst".
Blind vor Zorn wandte ich mich von ihm ab. Auf gar keinen Fall konnte es so sein, wie er sagte. Niemals. Meine Heimat ist tot. Genau wie ich. Was fiel ihm eigentlich ein, mir solch eine ungeheuerliche Lüge als Wahrheit verkaufen zu wollen?
"So beruhige dich doch", sprach er. "Glaube und vertraue mir."
Wie konnte er nur. Mich in meinem Schmerz derart zu verhöhnen, einfach widerlich. Ich schloss meine Augen und verschloss mein Herz. Nein, auf keinen Fall wollte ich zulassen, dass er zu meiner Heimat wird. Zu sehr hatte er mich gepeinigt, verunsichert, gehetzt. Die vielen Jahre in denen ich ihm vertraute. Wieder und immer wieder. Einmal muss es ein Ende haben.
Erbost über seine allgegenwärtige Liebe zischte ich ihn an: "Was denkst du, wer du bist? Wie kannst du nur behaupten ausgerechnet du wärest meine Heimat?"
Gütig lächelte er und sah mich an. "Du bist hier, hier bei mir. Du hast auch heute wieder zu mir gefunden. Doch deine Suche wird hier längst nicht beendet sein."
Ich spürte wie mein Herz schneller zu schlagen begann. Am liebsten wäre ich schreiend davon gelaufen. Doch ich blieb. "Wenn es so wäre, wie du sagst, wo warst du all die Jahre? Warum hast du mich nach dir suchen lassen? Du warst nie für mich da, als ich dich dringend brauchte."
"Doch, ich war immer in deiner Nähe. Und du weißt es, sonst wärst du nicht hier", sagte er.
Fast verlor ich den Verstand. Wovon redete er? Ich hätte seine Nähe gespürt, mit Sicherheit, wenn er Recht hätte.
"Komm, ich zeige es dir."
Zwar sträubte ich mich, letztendlich ging ich mit ihm. Ich wollte ihm eine allerletzte Chance geben. Oder wollte ich diese Chance für mich?
Brennende Häuser, schreiende Frauen, weinende Kinder. All das zeigte er mir.
Ich verstand nicht was er von mir wollte. "Ich sehe Tod und Verderben und all das lässt du geschehen? Du bist ein Mörder!", schrie ich ihm zu.
"Nein", sprach er. "Ich bin die Heimat all dessen, was du siehst. Nicht ich lasse es geschehen, ihr lasst es geschehen. Ich bin machtlos. Es betrübt mich genau wie dich, doch ich kann es nicht ändern. Schau ganz genau hin."
"Du willst es nicht ändern", rief ich verzweifelt. "So unternimm doch endlich etwas. Mach diesem Spuk ein Ende, ich flehe dich an".
Aus gütigen Augen sah er mich an, streifte meine Wangen und strich sanft über mein Haar.
"Du kannst es ändern. Du bist Teil all dessen und du hast die Kraft. Steh auf und glaube daran. Vertraue darauf, ich bin deine Heimat."
Als ich bereit war meine Augen und mein Herz wieder zu öffnen, verzogen sich die Rauchschwaden der letzten Granateneinschläge. Ich erhob mich aus dem Staub der verbrannten Erde und dankte ihm, dass ich am Leben war.

      

 

Last update: 18.09.13, 12:00

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