Aktionärsversammlung (Zeitschrift Kurzgeschichten 01/2006)
sorceress2001
14:45h
Aktionärsversammlung „Guten Tag, meine Damen und Herren. Ich freue mich, Sie heute zu unserer jährlich stattfindenden Aktionärsversammlung begrüßen zu dürfen. Für diejenigen unter Ihnen, die zum ersten Mal an einer unserer Versammlungen teilnehmen, darf ich mich kurz vorstellen:
Mein Name ist Tom-Ate van Ackern. Seit geraumer Zeit führe ich diese, einst als kleines Familienunternehmen gegründete Firma, welche heute auf dem Gipfel des Erfolges angekommen ist.
Ich darf Ihnen, liebe Aktionäre, dafür zunächst einmal meinen Dank aussprechen, für Ihren Glauben an unsere Ideen, unser Firmenmanagement, für Ihr uneingeschränktes Vertrauen und für Ihren Mut, gemeinsam mit uns zukunftsvisionär voranzuschreiten.
Bevor ich Ihnen jedoch die Bilanz des Vorjahres zu Kenntnis gebe, darf ich Sie bitten, unseren Konzern-Senior-Chef recht herzlich in der Runde willkommen zu heißen. Bitte begrüßen Sie mit mir, und mit einem herzlichen Applaus, Herrn Troy-Lose van Ackern, den Begründer unseres Weltmarkt beherrschenden Bio-Konserven-Unternehmens!“ Als der alte van Ackern das Podium betrat, brandete tosender Beifall durch den Saal. Stehend applaudierten ihm die anwesenden Aktionäre minutenlang, in gieriger Erwartung prächtiger Renditen für das abgelaufene Geschäftsjahr.
Die geladenen Vertreter der Journaille, die in der vordersten Reihe Platz genommen hatten, schrieben sich während der Eröffnungsrede des Seniors die Finger wund. Lediglich Mona von Auer-Blümchen verfolgte das Geschehen ungerührt. Erst gestern Abend hatte ihr Informant der Redaktion brisantes Material zugespielt. Längst hatte sie geahnt, dass etwas in dem, in den letzten Jahren, rasant gewachsenen Imperium nicht koscher war. Seit Wochen recherchierte sie nun, und je weiter sie ihre Recherche betrieb, umso mysteriöser erschienen ihr die Vorgänge innerhalb des Mutterkonzerns.
Ungefährlich war Mona von Auer-Blümchens Arbeit längst nicht mehr. Erst letzte Woche hatte man die Reifen ihres Autos aufgeschlitzt. An der Windschutzscheibe des Wagens klemmte ein Papierfetzen: „Lass die Angelegenheit ruhen, sonst geht es dir genau so!“, lautete die anonyme Drohung. Gestern in der Tiefgarage hatte Mona das Gefühl, von jemandem verfolgt zu werden. Offensichtlich war sie der Lösung des Rätsels recht nah. Nur ein einziges Puzzleteil fehlte ihr jetzt noch. Behielte sie Recht, würde sie Troy-Lose und Tom-Ate van Ackern medienträchtig über die Klinge springen lassen, denn, wenn sich ihr gehegter Verdacht bestätigen sollte, hätten es die beiden nicht anders verdient. Oder aber …, schnell verwarf Mona, den in ihr aufkeimenden Gedanken. Längst hatte sich der Applaus gelegt und der junge van Ackern jonglierte inzwischen vor den Aktionären mit Unternehmenszahlen, Gewinnerwartungen, Abschreibungen durch Verluste im Ausland, Statistiken für das nächste Quartal und Ausblicken auf zu erwartende Konzernerträge. Er kannte sich aus in der Kunst, seine Zuhörer durch endlose Zahlenreihen und Diagramme dahingehend zu beeinflussen, dass am Ende niemand mehr genau wusste, woran er war.
Monas Handy vibrierte in ihrer Jackentasche. Vielleicht war dies schon die dringend von ihr erwartete Information. Leise schlich sie aus dem Saal, darum bemüht, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Nur der alte van Ackern bemerkte ihr Verschwinden und kratzte sich beunruhigt das Kinn.
Auf dem Flur der Chefetage auf und ab gehend, hörte Mona atemlos ihrem Informanten am anderen Ende des Telefonnetzes zu.
„Aha, interessant.“ flüsterte sie. „Hab’ ich es mir doch gedacht.“ In Windeseile wirbelten die Gedanken durch ihren Kopf und ihr finsterer Plan nahm Gestalt an.
Währenddessen hielt es den alten van Ackern nicht mehr länger im Saal. Er verließ die Versammlung. Leise zog er die Saaltür hinter sich zu. „Wo mag diese neugierige Schnüfflerin nur sein? Was hat sie vor?“ Er war ein alter Fuchs des Geschäftslebens, und die Recherchen der aufdringlichen Jungjournalistin waren ihm in den letzten Wochen nicht verborgen geblieben. Hatte doch der Chef des internen Sicherheitsdienstes erst letzte Nacht einen Einbruch in die heiligen Hallen des Konzerns in letzter Minute verhindern können. Zufall?
Der Seniorchef beobachtete Monas Mimik während ihres Telefonates.
„Ich muss den Eklat verhindern, koste es was es wolle“, dachte er. Entschlossen näherte er sich Mona, packte sie am Arm und zog sie energisch in eine Nische des langen Flurs. Erschrocken schaute die junge Frau zu ihm auf, mit einem derartig offenen Angriff hatte sie nicht gerechnet, nicht hier, vor so vielen Zeugen. Ehe sie auch nur ein Wort von sich geben konnte, zischte sie der alte van Ackern an. Kurz und knapp machte er ihr seinen Standpunkt klar: „Ich lasse mir mein Lebenswerk nicht zerstören, erst recht nicht von einem Niemand wie Ihnen, Kindchen!“ schnell hatte Mona ihre innere Ruhe wieder erlangt. „Schau an“, dachte sie, „der alte Mann bekommt Angst.“
Ihre Menschenkenntnis verriet ihr, dass van Ackerns Zeit als gnadenloser Geschäftsmann längst vorüber war. Trotz seiner harschen Worte war das ängstliche Vibrieren seiner Stimmbänder deutlich herauszuhören.
Blitzartig straffte sie ihren Körper und schaute dem Alten eiskalt ins Gesicht. Nun hatte sie ihn endlich dort, wo sie ihn immer haben wollte. Wie der Biss einer Cobra trafen den alten van Ackern Monas Worte. „Schreiben ist Silber, Wissen ist Gold! Entweder, ich habe morgen um diese Zeit drei Millionen Euro auf meinem Bankkonto in der Schweiz, oder Sie zieren übermorgen die Titelseiten aller einschlägigen Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazine!“ Dann wandte sie sich energisch ab und verschwand in der Damentoilette. Der alte van Ackern war Geschäftsmann genug, um zu wissen, wann er verloren hatte. Vierundzwanzig Stunden später saß Mona von Auer-Blümchen in einem Flugzeug, dessen Ziel die Bahamas waren. Sie lächelte entspannt und genoss den gerade von der Stewardess gereichten Champagner. Bis zum heutigen Tage hat kein Mensch davon erfahren, dass im Bio-Konserven-Unternehmen der van Ackers seit Jahrzehnten nicht nur Experimente zur Genmanipulation in den Labors durchgeführt werden, sondern die bisherigen Forschungsergebnisse längst in der firmeneigenen Gemüseproduktion erfolgreich umgesetzt und genutzt werden.
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